Literatur für alle – mein erster Workshop für Lyrik in Leichter Sprache

Am Sonntag, 27.10.2024, habe ich zum ersten Mal einen Workshop zum Thema Lyrik in Leichter Sprache gegeben, zusammen mit dem Dichter Daniel Falb. Der Workshop war im Alten Waschhaus, im Rahmen des Literaturfestivals „Literatur für alle“, das in Tübingen ebenfalls zum ersten Mal stattfand. Etwa 10 Teilnehmende waren dabei und wollten wissen:

Was ist Leichte Sprache und was ist Lyrik?
Wie geht Lyrik in Leichter Sprache?

Zunächst habe ich eine kurze Einführung ins Thema Leichte Sprache gegeben, bei der die Teilnehmenden selbst einige Regeln für Leichte Sprache erarbeiteten. Dafür analysierten wir verschiedene Publikationen um die Kriterien für Leichte Sprache herauszufinden. Die Regeln auf der Wortebene, der Satzebene, Textebene und die Gestaltungsebene sind einerseits streng, bieten aber gleichzeitig die Möglichkeit, damit kreativ zu spielen.

Daniel Falb erkundete in seiner Einführung anhand von unterschiedlichen Texten die Frage: „Was ist ein Gedicht?“ Wir versuchten auf den verschiedenen Sprachebenen also Kriterien für Gedichte zu finden. Über die Frage, was ein Gedicht ausmacht, könnte man allein schon einen kompletten Workshop machen und wahrscheinlich gibt es semesterfüllende Veranstaltungen sowie viele Regalmeter Literatur dazu.

Wenn wir nun die Regeln für Leichte Sprache und einige Kriterien für Lyrik zusammendenken, was entsteht dann? Die Teilnehmenden suchten sich ihre Schreibplätze um das Alte Waschhaus herum und begannen zu schreiben. Die Ergebnisse waren ganz unterschiedlich, aber alle ganz zauberhaft. Einige Texte waren erzählerisch in ganz kurzen Sätzen, spielten bewusst mit Wiederholungen. Andere waren sehr minimalistisch, ließen einzelne Wörter – mit oder ohne Erklärungen dafür – für sich sprechen.

Wenn ein Lyriker Leichte Sprache für sich entdeckt

Daniel Falb begann 2022 während der Pandemie, sich mit Leichter Sprache zu befassen. Die strengen Regeln, die Beschränkung, die dadurch der Sprache auferlegt werden, fand er spannend. Er wollte wissen, wie sich aus dieser Beschränkung heraus Poesie machen lässt. Vielleicht sogar eine, die tatsächlich inklusiv ist.

Hier ein Auszug aus „Deutschland – ein Weltmärchen in Leichter Sprache“:

„Komm, altes Kind, nimm deinen alten Bau-Klotz

um diese Ecke ins Gedicht, hier entlang geht es weiter.

Du kommst weiter und dein Schatten fällt aufs Papier,

unter der Lampe. (Du bist noch als Katze geschminkt.)

Jetzt sind wir in diesem Satz oder Gesang.

Wir sind jetzt in diesem Satz oder Gang.

Der Gang is weiß, papierig, eierschalig.

Er gehört zu einem pantomime-weißen Büro-Gebäude,

Pierrot.

Pantomime ist, wenn man etwas ohne Worte darstellt.

Pierrot ist eine weiß geschminkte Figur aus der Oper.“

(Quelle: Webseite von Daniel Falb, das ganze Buch gibt es hier)

Daniel nutzt das Regelwerk kreativ als Steinbruch für seine dichterische Arbeit und ‚erlaubte‘ das auch den Teilnehmenden. Ich gestehe, dass das für mich als Sachtext-Übersetzerin manchmal eine Herausforderung war. Immer wieder mal hüpfte mein innerer Kritiker wie ein Springteufel aus der Kiste und rief: „Nein, das geht nicht! Das entspricht nicht den Regeln für Leichte Sprache! Ein Mensch aus der Zielgruppe würde das nicht verstehen!“ Gut für ihn, dass ein paar Teilnehmende sich selbst auferlegten, sich so genau wie möglich an die Regeln zu halten. Im Lauf des Nachmittags lernte der innere Kritiker aber auch viel dazu und entspannte sich schließlich zwischen den Zeilen 😊.

Die Lesung am frühen Abend war für die Teilnehmenden eine tolle Möglichkeit, die frisch entstandenen Texte direkt einem interessierten Publikum zu präsentieren. Ein Abend der Uraufführungen sozusagen. Die Lesung war sehr gut besucht und die Texte kamen super an. Das Publikum war auch bei der anschließenden Diskussion engagiert dabei. Es ging von akademisch-philosophischen bis hin zu ganz pragmatischen Fragen und Beiträgen.

Insgesamt würde ich sagen, eine sehr gelungene Veranstaltung. Vielen Dank für die tolle Organisation und Betreuung an das Team von „Literatur für alle“ und des Hölderlinturms! Alle haben eine super Arbeit geleistet, sehr beeindruckend.

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